Wenn Apothekenrechenzentren insolvent werden
BFH entscheidet über Steuerpflicht der nicht ausgezahlten Umsätze
Es klingt verlockend: Die lästige und komplizierte Abrechnung der Rezepte mit den gesetzlichen Krankenkassen einfach auslagern, regelmäßig und zuverlässig sein Geld bekommen und das alles für eine vergleichsweise geringe Gebühr. Kein Wunder, dass die meisten Apotheken von der im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, ihre Abrechnungen mit den Krankenkassen auf Rechenzentren zu übertragen. Zusätzlich verrechnen diese auch die Herstellerrabatte und leiten die Daten an den Nacht- und Notdienstfonds weiter. Umso größer war der Schock unter Apothekern als im Jahr 2020 eines dieser Rechenzentren, die AvP Deutschland GmbH in die Insolvenz ging und tausende Apotheken vergeblich auf ihr Geld warteten.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun in seinem aktuellen Urteil vom 30. April 2025 (XI R 15/22) entschieden, wie in solchen Fällen umsatzsteuerlich mit den Umsätzen umzugehen ist, für die die Apotheken die Zahlungen vom Rechenzentrum nie erhalten haben.
Kasse zahlt – Rechenzentren nicht
Im Streitfall hatte die Apotheke mit einem Rechenzentrum einen Vertrag geschlossen. Danach zog das Rechenzentrum in eigenem Namen aber für Rechnung der Apotheke die Forderungen für die erbrachten Leistungen wie Lieferungen von Heil- und Arzneimitteln von den gesetzlichen Krankenkassen ein. Das erhaltene Geld leitete das Rechenzentrum nach Einbehalt einer Gebühr an die Apotheke weiter.
Die Apotheke berechnete ihre an das Finanzamt zu zahlende Umsatzsteuer für die erbrachten Leistungen nach vereinbarten Entgelten. Das bedeutet, die Apotheke muss ihre Leistungen bereits im Voranmeldungszeitraum (Monat oder Quartal) der Leistungserbringung versteuern, unabhängig davon, wann die Krankenkasse tatsächlich bezahlt.
Als das Rechenzentrum Insolvenz anmeldete und die bereits von der Krankenkasse vereinnahmten Gelder nicht an die Apotheke weiterleitete, wollte diese die Bemessungsgrundlage für ihre Umsatzsteuer mindern. Denn das Geld für die erbrachten Umsätze hatte sie tatsächlich ja nie vom Rechenzentrum erhalten. Das Finanzamt und auch das Finanzgericht lehnten dies ab.
Mindert eine Insolvenz die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage?
Ein Unternehmer muss den Umsatzsteuerbetrag gegenüber dem Finanzamt berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hier die Lieferung von Heil- und Arzneimitteln, geändert hat. Darunter fällt auch, wenn das Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung uneinbringlich geworden ist, beispielsweise durch eine Zahlungsunfähigkeit bei Insolvenz.
Vertragsbeziehungen sind entscheidend
Mit dieser Begründung klagte die Apotheke beim BFH auf Änderung ihrer Umsatzsteuerzahllast. Doch der BFH lehnte dies, wie auch das Finanzgericht, ab. Hintergrund sind die vertraglichen Beziehungen zwischen Krankenkasse, Apotheke und Rechenzentrum. Der Vertrag über die Lieferung von Arznei- und Heilmitteln bestand nur zwischen der Krankenkasse und der Apotheke.
Für die von der Apotheke erbrachten Leistungen hatte die Krankenkasse unstreitig bezahlt. Und zwar auf ausdrücklichen Wunsch und gemäß Vereinbarung statt an die Apotheke direkt an das Rechenzentrum. Zivilrechtlich hat die Krankenkasse damit ihre Pflichten erfüllt und mit sogenannter „schuldbefreiender“ Wirkung gezahlt. Sie könnte nicht verpflichtet werden, erneut zu zahlen.
Dass das Rechenzentrum nicht an die Apotheke gezahlt hat, ist damit allein das Problem der Apotheke. Ansprüche an das Rechenzentrum müssen auf Grundlage der Verträge zwischen diesen beiden Vertragspartnern geltend gemacht werden. Sie berühren aber nicht das Vertragsverhältnis zwischen Apotheke und Krankenkasse. Aus diesem Grund gelten die von der Krankenkasse an das Rechenzentrum geleisteten Zahlungen für die Apotheke als erhalten.
Daher müssen die Zahlungen auch in die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer einbezogen werden, auch wenn tatsächlich kein Geldfluss an die Apotheke stattfand. Denn die Forderung gegenüber der Krankenkasse ist nicht uneinbringlich geworden. Im Gegenteil, die Krankenkasse hatte für die erbrachten Leistungen gezahlt.
Alternative Direktabrechnung?
Aus der Insolvenz der AvP GmbH zogen manche Apotheken den Schluss, zukünftig lieber selbst direkt mit den Krankenkassen abrechnen zu wollen. Denn eine Abrechnung über die Rechenzentren ist laut Gesetzeswortlaut eine Wahlmöglichkeit, aber keine Pflicht.
Erste Softwareanbieter werben daher bereits intensiv für die Möglichkeit einer Direktabrechnung. Rechtlich ist diese Vorgehensweise aufgrund der vielfältigen Zusatzaufgaben bei der Abrechnung noch umstritten. Und auch hier fallen Kosten an und Apotheker stehen vor der Abwägung der Zeitersparnis gegenüber eines möglichen Zahlungsausfalls der Rechenzentren.