Einspruchsfristberechnung bei nicht täglicher Zustellung
BFH: Zugangsfiktion für Bescheide gilt trotzdem
Nicht jeder Steuerpflichtige ist mit dem Inhalt seines Steuerbescheides einverstanden. Um gegen tatsächliche oder vermeintliche Fehler des Finanzamtes vorzugehen, besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats nach Zugang des Steuerbescheides Einspruch einzulegen. Ob es eine Abweichung bei der Fristberechnung gibt, wenn der Postdienstleister nicht an allen Werktagen Post vom Finanzamt zustellt, hatte der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 20. Februar 2025 (VI R 18/22) zu entscheiden.
Fristberechnung für einen Einspruch
Die Frist, um einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid einzulegen, beträgt einen Monat. Die Frist beginnt am Tag nach dem Zugang (Bekanntgabe) des Steuerbescheids zu laufen. Fällt das Ende der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, verschiebt sich das Fristende auf den nächsten Werktag.
Daher ist für die Fristberechnung entscheidend, wann der Bescheid dem Steuerpflichtigen zugegangen ist. Dafür galt bis 2024 eine Dreitagefiktion. Seit 2025 wird im Inland eine Postlaufzeit von vier Tagen unterstellt, es sei denn ein späterer Zugang wird nachgewiesen.
Urlaub schützt nicht vor Fristablauf
Die Steuerpflichtige hatte im Streitjahr ihre Einkommensteuererklärung selbst angefertigt. Am Freitag, dem 15. Juni, erließ das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und übergab ihn an den Postdienstleister des Finanzamtes. Dieser stellt im Wohnviertel der Steuerpflichtigen Post nur an maximal fünf Arbeitstagen der Woche (Montag bis Freitag) zu.
Die Steuerpflichtige war auf einer mehrwöchigen Dienstreise. Während ihrer Abwesenheit hatte sie eine Freundin und ihre Mutter mit der Leerung des Briefkastens betraut. Sie kehrte am Dienstag, dem19. Juni in ihre Wohnung zurück und fand den Steuerbescheid im Briefkasten vor. Sie übersendete ihn noch am gleichen Tag an ihren Steuerberater. Einen Monat später, am 19. Juli, wurde Einspruch eingelegt. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.
Da der angefochtene Bescheid am Freitag, 15. Juni zur Post gegeben worden sei, gelte er als am Montag, dem 18. Juni, als bekanntgegeben. Der Fristbeginn wäre damit der 19. Juni und Fristende der 18. Juli gewesen. Somit habe die Steuerpflichtige die Einspruchsfrist nicht gewahrt, denn der Einspruch ging erst am 19.Juli beim Finanzamt ein. Dagegen legte die Steuerpflichtige Klage ein.
Zugangsfiktion nicht erschüttert
Während das Finanzgericht der Steuerpflichtigen Recht gab, entschied der BFH zugunsten des Finanzamtes. Der Einspruch war damit unzulässig, da die Frist nicht eingehalten wurde.
In Fällen, in denen der Steuerpflichtige behauptet, der Bescheid wäre gar nicht oder verspätet zugegangen, muss im Zweifel die Behörde den Zugang beweisen. Wird aber nicht der Zugang des Schriftstücks überhaupt bestritten, sondern lediglich behauptet, den Bescheid nicht innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, muss der Steuerpflichtige gute Argumente vorbringen, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen.
Die Beteiligten gingen übereinstimmend davon aus, dass der Bescheid am Freitag 15. Juni dem Postdienstleister übergeben wurde. Damit galt er in der Gesetzesfassung für das Streitjahr am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (Montag, 18. Juni) als bekanntgegeben.
Auch durch die Aussage der Steuerpflichtigen, sie habe den Bescheid erst am Dienstag, 19. Juni nach ihrer Rückkehr im Briefkasten gefunden, kann nach Ansicht des BFH diese Vermutung nicht erschüttert werden. Denn nach den Feststellungen des Finanzgerichts wurde im Wohnviertel der Steuerpflichtigen zwar an Samstagen keine, an Montagen jedoch durchaus Post zugestellt. Aufgrund dessen erscheint vorliegend eine Zustellung des streitigen Steuerbescheids am letzten Tag der Dreitagesfrist, Montag, dem 18. Juni, zumindest möglich.
Diese Möglichkeit konnte die Steuerpflichtige auch nicht widerlegen, da sie wegen ihrer Abwesenheit nicht wissen konnte, ob der Einkommensteuerbescheid, den sie am Vormittag des 19. Juni in ihrem Briefkasten vorfand, erst am selben Tag oder bereits am Vortag dort eingelegt worden war. Hierfür wäre es notwendig gewesen, die mit der Leerung betrauten Personen hätten den Briefkasten der Steuerpflichtigen nach der am 18. Juni erfolgten Zustellrunde geleert, ohne darin den Einkommensteuerbescheid vorzufinden. Dies war jedoch nicht der Fall.
Zugangsvermutung gilt auch bei nicht täglicher Zustellung
Der BFH führte weiterhin aus, dass es der Zugangsvermutung nicht entgegenstehe, dass der Postdienstleister an dem innerhalb der Dreitagesfrist liegenden Samstag (16. Juni) keine Zustellungen in dem Wohnviertel der Steuerpflichtigen vorgenommen hat. Ebenso wenig stehe ihr entgegen, dass der Postdienstleister Postgut regelmäßig nur an fünf von sechs Werktagen ausliefert.
An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Postzustellung erfolgt, weil der zustellfreie Tag an einen Sonntag grenzt. Die Zustellung innerhalb der Dreitagesfrist wird hierdurch zwar etwas weniger wahrscheinlich, ist aber gleichwohl möglich. Die zeitlich beschränkte Zustellung berührt deshalb nicht die generelle Anwendbarkeit der Zugangsvermutung.
Posteingangsbuch als Nachweis für Steuerberater
Für Steuerpflichtige, die durch einen Steuerberater vertreten werden und dieser eine entsprechende Empfangsvollmacht hat, kann der Nachweis des tatsächlichen Zugangs durch das Posteingangsbuch erfolgen und damit die Zugangsvermutung im Zweifelsfall erschüttert werden.
Tipp: Wer die Post seines Finanzamtes nach Hause bekommt, sollte bei Abwesenheiten Freunde oder Familie bitten, den Briefkasten täglich zu leeren und bei „Behördenpost“ einen Vermerk über den Tag des tatsächlichen Zugangs anzufertigen.
Hinweis: Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Postrechts vom 15. Juli 2024 wurde die gesetzliche Bekanntgabefiktion ab dem 1. Januar 2025 von drei auf vier Tage verlängert. Die Viertagefiktion gilt für alle Verwaltungsakte, die nach dem 31. Dezember 2024 zur Post gegeben, elektronisch übermittelt oder elektronisch zum Abruf bereitgestellt werden.